Abschnitt 1

Abschnitt 1 (“Ostabschnitt”) wurde nach Süden erweitert und erstreckt sich jetzt in den Planquadraten 490-500-E/730-750-N. In der alten Grabungsfläche wurden die meisten stark verwitterten Lehmziegelwände bis auf die Steinsockel entfernt und die Schnittwände um 0,5 m verlegt. Bei der Vertiefung der bisher erreichten Niveaus kamen in manchen Räumen ältere Pflaster und Installationen ans Licht, die eine Klärung der Raumfunktionen beziehungsweise die Interpretation der bereits früher freigelegten Grundrisse erleichtern. Im gesamten Abschnitt wurden - wie während der Kampagne 1990 - parthische Reste und die jüngste assyrische Bauschicht untersucht.

Ass2000D-Feld101Bei einer kleineren Erweiterung im Nordosten der Grabungsfläche (Planquadrat 500-E/750-N) wurde unmittelbar unter der Hügeloberfläche die parthische Schicht angetroffen. Es gab hier keine Baureste, sondern nur Wohnschutt mit Bestattungen. Ein etwa 1 m unter der Hügeloberfläche gelegenes Erdgrab enthielt neben einem kugeligen Glasfläschchen kleinere Keramikgefäße.

Diese Bestattung korrespondiert mit ebenfalls hier befindlichen parthischen Grabbauten. Auf dem Kalkmörtelboden einer bereits vor 10 Jahren freigelegten Anlage im Ostteil des Abschnitts (500-E/740-750-N) standen mehrere Wannensarkophage aus Terrakotta. Im nordwestlichen Winkel der Grabungsfläche (490-E/750-N) wurde eine Mauerecke freigelegt, die zu einer ähnlichen Grabanlage zu gehören scheint. Einen dritten Grabbau im Südwesten des Abschnittes (500 -E/730-740-N) fand vor etwa hundert Jahren die deutsche Expedition bei einer Untersuchung der an der Hügeloberfläche sichtbaren Bauwerke. Seine damals noch 0,4 m hoch anstehenden Wände aus Stein- und Ziegelbruch wurden bis zum Ziegelpflaster ausgegraben und als ”Grabbau III” publiziert (Andrae/Lenzen, WVDOG 57, 1933, Taf. 51).

Ass2000D-120a-klJetzt wurden von dieser Anlage drei ältere Fußböden aus Kalkmörtel und das Steinfundament freigelegt, so dass der Grundriss vervollständigt ist. Es handelt sich um eine oberirdische, fast quadratische (7,75 x 7,80 m) Anlage mit zwei hintereinander liegenden Grabkammern. Die insgesamt vier Fußböden deuten auf eine lange Benutzungszeit hin. Unter ihnen, zwischen den ca. 1,25-1,45 m starken Fundamentmauern wurden Reste von älteren parthischen Bestattungen angetroffen , darunter Fragmente eines glasierten Wannensarkophages, dessen Reliefdekor pflanzliche Motive zeigt. Im Fundament des Grabbaus und darunter liegenden Verfallschutt des spätneuassyrischen Hauses lagen einige z. T. gestempelte Tontafeln. Zwischen den Fundamenten fanden sich viele Bruchstücke beschrifteter und gestempelter Ziegel Adad-neraris I. (1297-1275 v. Chr.) von der Ufermauer, die auch in den beiden Grabbauten - im Kalkestrich der nördlichen beziehungsweise in den aufgehenden Wänden der südlichen Anlage - sekundär oder vielleicht sogar in dritter Verwendung verbaut waren. ähnliche Backsteinplatten mit einer Inschrift desselben Königs fand man nämlich bereits 1990 im spätneuassyrischen Raum 1C1, wo sie wohl zum ersten Mal wiederverwendet worden waren.

Die Mauern der obersten neuassyrischen Bauschicht, Lehmziegelwände auf niedrigen Steinsockeln, in denen viele Backstein- und Keramikfragmente verbaut sind, lassen sich fünf oder sechs Gebäuden zuordnen, von denen bisher nur eines im gesamten Umfang ausgegraben wurde. Es handelt sich dabei um ein kleines, sechsräumiges neuassyrisches Wohnhaus vom Typus ”Hofhaus mit vorgelegtem Empfangsraum”. Er ist öfters in Assur anzutreffen (Miglus, Baghdader Forschungen 22, 1999, 143-150 Abb. 373 Taf. 71. 72) . Ein schmaler mit einem Mörser ausgestatteter Eingangsraum (1B5) verbindet die im Nordosten bereits außerhalb der Grabungsfläche verlaufende Straße mit einem länglichen leicht trapezförmigen Vorderhof (1B2). Dieser ist mit groben Kieseln gepflastert; in seinem Eingangsbereich haben sich Reste einer Wasserrinne erhalten. Eine verschließbare Tür mit Schwelle aus Steinplatten führte zu dem im Nordwesten liegenden, 7,5 m langen und 3 m breiten Empfangsraum (1A2), an dessen Südwestwand eine mit Putz ausgeschmierte Wanne in den Fußboden eingelassen war. Hier, im Südteil des Raumes wurde bei der letzten Grabung ein 15 Tontafeln zählendes Archiv gefunden. Vom Empfangsraum erreichte man den inneren Teil des Hauses: den zweifach mit Kieseln gepflasterten Innenhof (1D7) und zwei Wohnräume (1D5, 1D6), die wohl durch die Teilung eines größeren Zimmers entstanden sind. Dieses Zimmer dürfte nachträglich eingebaut worden sein, da seine Wände - anders als die sonstigen Mauern des Hauses - keine Steinsockel haben.

Nordwestlich vom Empfangsraum (1A2) liegen hinter einem mit Backsteinbruchstücken gepflastertem Hof (1A5) zwei Wohnzimmer eines Nachbargebäudes. Das nördliche von ihnen (1A1) war verschließbar: an der Südlaibung der 1,05 m breiten, später auf 0,65 m eingeengten Tür befand sich in situ ein großer Türangelstein. Ein unter diesem Zimmer angelegtes Grab  wurde in der Zeit zwischen der letzten und der jetzigen Grabungskampagne ausgeraubt.

Die Situation in der Osthälfte des Abschnittes ist deshalb schwieriger zu klären, weil die architektonischen Reste hier durch den verhältnismäßig tief angelegten südlichen Grabbau beträchtlich gestört wurden. Im Nordostwinkel des Abschnittes erstreckte sich ein kleiner länglicher Hof (1B1) mit Zeugnissen wirtschaftlicher Aktivitäten: Auf seiner Westseite war ein Tannur installiert, aus dem ein Trichterhalsbecher zutage kam; neben ihm lagen eine dreifüßige Reibschale und ein Reibstein aus Basalt. Ein anderes Gerät zur Nahrungsvorbereitung, eine trapezförmige Basaltplatte mit einer ovalen Reibmulde, lag in der Mitte des Raumes. Um diese Geräte herum waren kleinere Basalt- und Keramikfragmente verstreut. Der zugehörige Raum im Südwesten wurde zum großen Teil bei der Errichtung des parthischen Grabbaus zerstört.

Ass2000D-Feld106_klDies beschädigte auch den Vorderteil eines anderen Wohnhauses, zu dem der 0,75-0,80 m schmale mit Backsteinplatten gepflasterte Eingang (1B6) westlich des oben genannten Wirtschaftshofes führte. Von diesem hat sich nur ein wohl auch als Hof anzusprechender Bereich (1D4) mit südöstlich und südwestlich anliegenden Wohnzimmern erhalten. Dieser dürfte teilweise überdacht gewesen sein (Raum 1D5), da gegenüber seiner Südecke in den Fußboden eine Säulenbasis aus grob bearbeitetem Kalkstein eingelassen war. Das Südostzimmer (1C1/F2) fällt wegen der charakteristischen Wandnischen auf, die seine Tür flankierten. Solche Nischen gehören zu typischen Einrichtungen ansehnlicher neuassyrischer Wohnhäuser und Residenzen. In seiner Rückwand wurde an der Südecke eine dritte Nische gefunden und eine vierte (oder eine Tür?) ist wohl symmetrisch an der noch nicht freigelegten Ostecke zu ergänzen. In der Nische an der Nordecke wurde nachträglich eine Tür angelegt, deren Schwelle aus gestempelten Ziegeln des Königs Adad-nerari I. (1295-1265 v. Chr.) konstruiert wurde. Der mit einem 0,45 m hohen schwarzen Sockelstreifen versehene Wandputz war zweifach aufgetragen und deshalb 5 bis 8 cm dick; er zeigte deutliche Brandspuren.

Im Südwesten befanden sich ursprünglich drei Räume (1D1-1D3), von denen das größte, vordere Zimmer vermutlich nachträglich mit einer 0,30 m schmalen Wand in zwei Räume aufgeteilt worden ist. Von der auf diese Weise entstandenen Südostkammer konnte man - wohl im Zuge dieser Umgestaltung - auch ein größeres Zimmer (1F6) im Südostwinkel des Grabungsabschnittes erreichen. Hier ließen sich Zeugnisse der Brandkatastrophe, der das Haus zum Opfer gefallen war, gut beobachten: Auf dem Fußboden lagen verbrannte, zweifelsfrei von der Dachkonstruktion stammende Holzreste; Feuerspuren fanden sich im Ziegelversturz und vor allem an dem bis zu 7 cm starken Wandputz, der rötlich durchgebrannt war. Trotz seiner Verbindung mit dem nordwestlichen Trakt gehörte dieser Raum jedoch offensichtlich zu einem anderen Gebäude, nämlich zum südlichen Eckhaus dieses Wohnquartiers, das an der Kreuzung der beiden südwestlich und südöstlich von ihm verlaufenden Straßen lag. Diese sind bereits in den Abschnitten dE/eA und eB des alten Suchgrabens 9I durchschnitten worden.

An der südwestlichen Straße befand sich auch der Eingang des von der ersten deutschen Expedition angeschnittenen Hauses Nr. e9:1, dessen östliche Hofecke und zwei Innenräume bei der jetzigen Ausgrabung zutage kamen. Damals wurden zwei Bauphasen des Gebäudes gesichert. In dem neu freigelegten Teil ist mit ähnlichen Verhältnissen zu rechnen, wobei hier erst die obersten Fußböden erreicht wurden. Das Niveau der sonstigen neuassyrischen Gebäude in diesem Abschnitt liegt hingegen tiefer. An der südöstlichen Wand des mit Kieseln gepflasterten Hofes (1E2) steckten im Schnittsteg die Reste eines Tannurs; nebenan lag ein Keramikgefäß. Im größeren der beiden Zimmer (1E1) fanden sich auf dem Stampflehmboden viele zerbrochene Keramikgefäße, eine dreifüßige Basaltschale, Eisengeräte, mehrere Webgewichte aus ungebranntem Ton sowie einige Tontafelfragmente.

Andere Tontafeln und Tontafelbruchstücke waren im Schutt über den Räumen 1C1/F2 und 1F3 zerstreut. Sie gehören zu den Tontafelarchiven die bereits bei der früheren zutage kamen (K. Hecker, MDOG 123, 1991, 111-114). Die Urkunden aus der diesjährigen Kampagne werden von S. M. Maul (MDOG 132, 2000, 65-100) bearbeitet.

Ass2000D-127n_klAußer den bereits erwähnten Kleinfunden kamen in der spätneuassyrischen Schicht mehrere Terrakottaobjekte ans Licht. Neben fragmentarischen anthropomorphen Figuren gab es Pferdeköpfe mit appliziertem, geritztem oder eingedrücktem Zaumzeug sowie ein Fragment eines Pferdes mit Löchern zur Befestigung von Rädern. Bei mehreren Fragmenten fahrbarer Figuren handelt es sich um Rinder. Im Schutt des südöstlichen Hauses lag ein Fragment eines beschrifteten Tonamuletts. Wie die Expedition vor 10 Jahren fanden wir neben zahlreichen beschrifteten Ziegelbruchstücken auch Fragmente sogenannter ”Handkonsolen” unterschiedlicher Größe. Zu erwähnen ist ein verbranntes Fragment einer gravierten Tridacna-Muschel aus dem Raum 1F2, vermutlichein Import  aus der Levante; drei Bruchstücke möglicherweise von demselben Exemplar kamen bereits bei der vorhergehenden Grabung 1990 ans Licht. Auch bei den ersten Ausgrabungen in Assur wurden in Privathäusern in der Nähe des Tabira-Tores Tridacna-Fragmente geborgen (Preusser, WVDOG 64, 1954, 50).

Ass2000-Marek-01_klKeramik und Kleinfunde aus diesem Bereich gestatten es, den gesamten Häuserkomplex in die spätneuassyrische Zeit zu setzen. Wir haben es hier mit der letzten assyrischen Bauschicht in Assur überhaupt zu tun und die festgestellten Zerstörungen und Brandspuren sind zweifellos mit der Eroberung der Stadt im Jahre 614 v. Chr. in Verbindung zu bringen. Die hier jetzt gefundenen Tontafelurkunden tragen postkanonische Daten.

Der mittelassyrische Horizont wurde vorerst nur in den beiden tiefsten Raublöchern im nördlichen Grabungsareal festgestellt. Im südlichen Bereich liegen die erreichten Fußböden noch etwa 2 bis 1,3 m über den Oberkanten des Hauses Nr. e9:9 (Suchgrabenabschnitt eA9I), in dem sich ein Tontafelarchiv aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. befand (Miglus, WVDOG 93, 1996, 256 f.; Pedersén, Archives and Libraries I, 1985, Nr. M12).

Die in den beiden Kampagnen erforschten Reste des spätneuassyrischen Quartiers fügen sich gut in das Muster, das sich bei den Suchgraben- und Oberflächenuntersuchungen der ersten Ausgrabungen abzeichnete. Der Häuserblock ist durch Straßen im Südwesten und Südosten begrenzt, die seit 1908 aus den alten Suchgrabenabschnitten eA9I und eB9I bekannt sind. Zugleich gehen die nordöstlichen Eingangsräume auf jene ca. 5 m breite Hauptstraße hinaus, die vom Südosten zum Binnenwall-Tor und anschließend zum Tabira-Tor verläuft und die sich mit dem Suchgraben 9I in den Abschnitten eD und eC kreuzt. Die nordwestliche Begrenzung des Quartiers ist noch unklar: Die nächste aus der alten Grabung bekannte Straße ist eine schmale Gasse in dB9I-Ost, die allerdings weiter nördlich offensichtlich ihre Richtung ändert.

In der jüngsten, parthischen Siedlungsschicht ist das Fehlen von Wohngebäuden bemerkenswert. Alle im Abschnitt 1 sowie weiter östlich durch die irakische Expedition gefundenen Gräber und Grabbauten gehören zu einem großen Friedhof auf beiden Seiten der Hauptstraße, die vom parthischen Palast nach Nordwesten in Richtung zum ehemaligen Tabira-Tor führte.