Die Schriftfunde

 (Eckart Frahm)

 

Die Ausgrabungen haben eine beachtliche Zahl beschrifteter Objekte unterschiedlichen Inhalts  zutage gefördert. Sie konnten in den Grabungsabschnitten 1, 2 und 4 geborgen werden.

 

In Abschnitt 1 wurden drei weitere Texte gefunden, die dem bereits aus den Grabungen von 1990 und 2000 bekannten spätassyrischen Archiv des Duri-Assur zuzurechnen sein dürften. Es handelt sich um einen Brief, in dem ein gewisser Mukin-Assur dem Duri-Assur und dreien seiner Geschäftspartner über die Bereitstellung von duhsû-Leder und andere Geschäftsvorgänge berichtet, eine auf den 6.XI.651 datierende Urkunde über ein von Kisir-Assur gewährtes Getreidedarlehen zugunsten des Ober-hunduraju Dianû sowie um eine stark beschädigte Tafel, die ein Kupferdarlehen dokumentiert. Außerdem wurden drei Fragmente von Namburbi-Amuletten freigelegt, die einem entsprechenden Fragment aus den Grabungen des Jahres 2000 zur Seite zu stellen sind. Auch ein Gefäßfragment mit den Resten einer bislang nicht klassifizierten aramäischen Inschrift wurde in Abschnitt 1 entdeckt.

 

Die Textfunde in Abschnitt 2 sind sehr disparater Natur. Für die Datierung des archäologischen Befunds besonders wichtig ist eine fragmentarische Tonknaufinschrift Puzur-Assurs III. (1. Hä. des 15. Jhs.), die schon bei den Grabungen des Jahres 2000 im Schutt der mittelassyrischen Straße gefunden, aber erst jetzt gelesen wurde. In einer Mauer verbaut war ein altassyrisches Scherbenfragment, das durch seine Inschrift als Bruchstück eines adagurrum-Gefäßes aus dem Besitz eines gewissen Idi-Assur ausgewiesen wird. Ferner konnte in dem Abschnitt, leider nicht in situ, sondern auf einer alten Abraumhalde, das Fragment eines sehr schönen mittelassyrischen Bibliothekstextes geborgen werden, der die ominösen Folgen des Vorkommens mehrerer Gallenblasen auf der Leber des Opfertieres behandelt. Der Text, zu dem bislang keine unmittelbaren Parallelen bekannt sind, bereichert das Korpus der mittelassyrischen Texte zur Extispizin.

 

Die bei weitem umfangreichsten Textfunde wurden in Abschnitt 4 gemacht. Hier kamen, mühevoll aus einer festen Lehmschicht der mittelassyrischen Zeit herauspräpariert, etwa 200 ungebrannte Fragmente mittelassyrischer Verwaltungsurkunden zutage. Zunächst nahezu unlesbar, konnten im Verlauf der Kampagne etwa 30 von ihnen gereinigt, gefestigt und teilweise kopiert werden. Die übrigen Bruchstücke, zum Teil winzige Reste, sollen im kommenden Jahr restauriert werden, was, wenn geschehen, die Möglichkeit weiterer Textzusammenschlüsse eröffenen dürfte. Die Texte weisen enge Beziehungen mit den Verwaltungsurkunden eines unweit von Abschnitt 4 aufgefundenen, von O. Perdersén, ALA 1, 68-81 als "M 7" behandelten "Archivs" auf, das auf die Museen von Berlin und Istanbul aufgeteilt wurde.

 

Die Tafeln datieren in die Zeit zwischen Adad-narari I. (1305-1274) -- sofern man annimmt, daß die zweimalige Erwähnung eines "Palastes" dieses Herrschers in einer der Tafeln eine entsprechende chronologische Einordnung erlaubt -- und der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Mehrere Eponymendatierungen sind erhalten.

 

Formal lassen sich die Tafeln in zwei Gruppen aufteilen: zum einen große, durchweg nur fragmentarisch erhaltene Tafeln mit umfangreichen Auflistungen verschiedener Güter und vereinzelten Angaben über deren Herkunft und Bestimmung, zum anderen kleinformatige Tafeln, welche die vom Palast unter der Aufsicht von abarakku-Beamten vorgenommene Ausgabe diverser Produkte an Handwerker und Funktionäre dokumentieren.

 

Bei Betrachtung der erstgenannten Gruppe ragt eine aus zwei Fragmenten zusammengesetzte und mit 89 erhaltenen Zeilen (deren rechte Hälfte leider überall weggebrochen ist) außerordentlich große Tafel hervor, die beträchtliche Mengen an Kupfer (URUDU), Zinn (AN.NA BABBAR) und Blei (AN.NA) sowie kleinere Quantitäten an Ölen und Zedernprodukten auflistet. Bemerkenswert ist die auf dem linken Rand der Tafel angebrachte Siegelabrollung, die den assyrischen König und mehrere Opferträger vor einem Tempel zeigt. Andere Tafeln führen Fertigwaren aus Metall auf, darunter Ringe, Schermesser, Äxte, "Nagelscheren" und Pinzetten, sowie Lederwaren, landwirtschaftliche Produkte und Kleider. Bergziegenbockhörner, Sehnen und Hölzer werden als Grundstoffe genannt, die Handwerkern für die Herstellung von Bögen übergeben wurden.

 

Wichtig für die Frage nach der Organisation des Pferdehandels in mittelassyrischer Zeit ist eine Tafel, in der, nach Altersstufen und Geschlecht geordnet, insgesamt 128 Pferde aufgelistet sind, die ein gewisser Marduk-ketti-e-tamsi aus dem Lande Nairi importiert hatte.

 

Eine andere Tafel führt Pferdegespanne auf, die zusammen mit Decken und anderen Gütern als Gabe des "Melisipak, des Königs von Kardunias" klassifiziert werden. Ihr Empfänger scheint der assyrische König Ninurta-apil-Ekur gewesen zu sein , von dem bekannt ist, daß er vor seiner Thronbesteigung längere Zeit im babylonischen Exil gelebt hatte.

 

Die zweite Textgruppe des Archivs, kleine Tafeln, in denen die Ausgabe verschiedener, des öfteren zur Weiterverarbeitung bestimmter Produkte an Handwerker und Funktionäre beurkundet wird, nennt Metallgegenstände, Zedernbalken, Gefäße(?), aus denen ein Mundschenk dem König Bier kredenzen sollte, Kleider, die mit Blaupurpur zu färben waren, Zwiebeln sowie Gewürzpflanzen für die Zubereitung der königlichen Mahlzeit.

 

Neben den Verwaltungsurkunden fanden sich in Abschnitt 4 in verschiedenen sekundären Kontexten auch noch weitere Schriftzeugnisse. Unter ihnen sticht ein fragmentarisch erhaltener schöner Bibliothekstext hervor, der sich, datiert in das Eponymat des Assur-ismanni (Mitte 12. Jh.), als das bislang älteste Manuskript der dritten Tafel des sog. "Emesal -Vokabulars" erweist. Der Kolophon nennt als Schreiber den bereits als Kopist einer Ea-Tafel bekannten Sîn-suma-iddina, Sohn des Ninurta-uballissu. Außerdem konnten mehrer beschriftete Gefäßfragmente geborgen werden.

 

In sämtlichen Grabungsabschnitten fanden sich zudem zahlreiche sekundär oder tertiär verwendete beschriftete Ziegel und Ziegelbruchstücke. Sehr häufig bieten sie die sog. kisirtu-Inschrift Adad-nararis I. Aus Zeitmangel konnten sie nicht systematisch aufgenommen werden; dies gilt es während der kommenden Grabungskampagne nachzuholen. Interessant ist, daß in einem neuassyrischen Funerärkontext in Abschnitt 2 ein -- allerdings wohl schon bei der Wiederverwendung nur noch unvollständig erhaltener -- Ziegel von der Gruft des Sanherib zutage kam.

 

Andrae-FK-taf32_link_sehrklein