Osttigrisprojekt

(Simone Mühl)

Das Projekt “Kulturlandschaft und Siedlungsgeschichte am Kleinen Zab, Irak” am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg widmet sich der archäologischen Untersuchung des assyrischen Kernlandes anhand neuen archäologischen Materials und dessen Integration in die Landsschaftsarchäologie der Region des mittleren Osttigrisgebietes.

Die archäologischen Untersuchungen

Im Jahre 2007 sollte nach Plänen der gestürzen irakischen Regierung mit dem Bau eines größeren Stauseeprojektes begonnen werden. Der sogenannte “Makhul- Stausee” sollte eine Fläche von etwa 260 km2 überschwemmen, wodurch nicht

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allein die bekannte mittel- assyrische Stadt Kar-Tukulti-Ninurta unter Wasser verschwunden wäre. Zahlreiche, von der Vernichtung bedrohte Fundstellen wurden daher vom Directorate of Antiquities and Heritage, Bagdad aufgesucht und teilweise durch Grabungen erforscht. Die Ausgrabungen liefern eine Fülle von neuem Material, das die Siedlungs- und Kulturgeschichte jener Region beträchtlich bereichert. Das Material wird jetzt in Heidelberg in Zusammenarbeit mit irakischen Archäologen ausgewertet.

Der chronologische Rahmen der 63 aufgesuchten Fundorte, von denen  15 durch Grabungen dokumentiert wurden, reicht vom beginnenden Chalkolithikum bishin zur frühislamischen Zeit und umfasst somit auch Perioden, die nicht, oder nur unzureichend, in den beiden großen Städten Assur und Kar-Tukulti- Ninurta belegt sind, was die bislang auf jene Großsiedlungen fokusierte Forschung um viele Aspekte ergänzen und erweitern wird.

Unter den Befunden stechen unter anderem die unterschiedlich gearteten frühbronzezeitlichen Rundbauten in Tall al-Namil (Sulaiman 2001-02) und Tall al-Faras hervor, aber auch mittelassyrische Wohnbauten, Gräber und Grüfte in Siedlungen wie Tall Farha, Tall al- Nul oder Tall Hanas.

Links ein mittelassyrisches Topfgrab aus Tall Hanas (Photo: B.S. Sulaiman), rechts eine Aufnahme aus dem Inneren des Rundgebäudes in Tall al-Namil (Photo: P.A. Miglus).

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Mannigfaltige Kleinfunde, unter diesen auch die Rollsiegel, bezeugen nicht allein die hohe Kunstfertigkeit der Handwerker, sondern bieten wichtige Hinweise auf regionale und überregionale Handelsbeziehungen und deren Veränderungen über große Zeiträume hinweg und ermöglichen im Kontext der Grabungen eine chronologische Einordnung.

Farras_Siegel_04

Die Landschaftsarchäologie

Die Untersuchung des aus den Grabungen stammenden archäologischen Materials soll im Zusammenspiel mit Daten aus der Landschaftsarchäologie interessante Hinweise zur Organisation und Gestaltung der antiken Landschaft im Umland Assurs erbringen. Dabei soll unter anderem ein Schwerpunkt auf die Einbindung der Region in das großräumliche kulturelle Gefüge über mehrere Epochen (Perioden) hinweg gelegt werden. Dabei gilt es, das Mit- und Gegeneinander der beiden großen Kulturregionen Assyrien und Babylonien näher zu durchleuchten.

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AssyrienKernlandTAVO_B-IV-10-Ausschnitt

Assyrien und Babylonien in der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends und im 1. Jahrtausend (Ausschnitte aus TAVO B III 7, links und TAVO BIV 10, rechts).

Auf Satellitenbildern, die Ende der sechziger Jahre aufgenommen wurden, lassen sich antike Siedlungen aber auch Hohlwege, die Bestandteile lokaler, aber auch überregionaler Wegenetze sind, erkennen.

Akrah_Radial Kopie

Der von Mahmud El-Amin Ende der vierziger Jahre untersuchte Fundort Tall Akrah (Mallowan/El-Amin 1950) offenbart sich als Zentrum etlicher radial zu ihm verlaufender Hohlwege (weiße Pfeile). Ein  über etliche Kilometer zu verfolgender Weg passiert den Tell im Süden (schwarze Pfeile). Bei ihm könnte es sich um eine der als Königsstraße, assyrisch “hur scharri”, bekannten Fernstraßen handeln. Diese dienten als wichtige Verbindungsadern zur militärischen und wirtschaftlichen Kontrolle des dem König unterstehenden Territoriums.

Eine Kartierung aller auf den Satellitenbildern sichtbaren Fernwege offenbart ein klares Netz aus Verkehrs- und Nutzwegen, das chronologisch wie auch räumlich in deutlichem Bezug zu den großen Zentren der Region steht, aber auch kleinere Siedlungen untereinander verbindet.

Weitere Landschaftsmerkmale, abgesehen von den Siedlungen und den sie verbindenden Wegen, stellen Kanäle dar, die hauptsächlich vom Tigris Wasser in die Flußterrassen ableiteten. Abgesehen vom agrartechnischen Nutzen ist auch eine Verwendung der Kapazitäten der Kanäle für den Fischfang wahrscheinlich. In einem wahrscheinlich in die neuassyrische Epoche datierenden Kanal bei der untersuchten parthisch-sasanidisch und frühislamischen Siedlung Wadiya al-Kurdiya al-Sura könnte sogar ein schiffbarer Kanal gesehen werden.

HohlwegeClassified

Literatur:

  • M. Altaweel, The Imperial Landscape of Ashur: Settlement and Land Use in the Assyrian Heartland, Heidelberger Studien zum Alten Orient 11 (2008).
  • M. E. L. Mallowan & M. El-Amin, Soundings in the Makhmur Plain. Part 1, Sumer 5 (1949), 145-153.
  • M. E. L. Mallowan & M. El-Amin, Soundings in the Makhmur Plain. Part 2, Sumer 6 (1950), 55-90.
  • B. S. Sulaiman, التنقیبات في تل النمل  (“Excavations in Tall al-Namil”), Sumer 52 (2004), 1-50.
  • B. S. Sulaiman, تنقيبات عراقية في حوض سد مكحول (“Irakische Ausgrabungen im Makhul-Staudammgebiet”, Heidelberger Studien zum Alten Orient 12 (2010).
  • S. Mühl, Siedlungsgeschichte im mittleren Osttigrisgebiet. Vom Neolithikum bis in die neuassyrische Zeit, Abhandlungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 28 (2013).

Das Projekt wurde durch die Gerda Henkel Stiftung gefördert.

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